„Als Bundeswehrsoldat habe ich mein Leben riskiert. Jetzt weiß ich nicht mehr wofür.“

Ein deutscher Soldat im Kosovo-Krieg

Mitten in Europa! Das motiviert einen zu sagen: Lass uns da hingehen und das ändern! Denn es kann nicht sein, dass in unserer direkten Nachbarschaft so etwas stattfindet.

Hauptfeldwebel David Hallbauer im Buch "Operation Heimkehr"

Der Schauspieler Benjamin Schroeder spielt in WAS GEHT MICH DAS AN? einen deutschen Soldaten im Kosovo-Krieg. Er versucht verzweifelt, zwischen Gut und Böse zu unterschieden – im ersten Kampfeinsatz für bundesdeutsche Soldaten nach dem Zweiten Weltkrieg.

WAS GEHT MICH DAS AN? fragt aus Sicht eines deutschen Soldaten danach, ob Krieg gerechtfertigt ist, um Menschenrechte zu schützen. Gleichzeitig wird die Geschichte jener Menschen erzählt, denen der Krieg auf dem Balkan großes Leid gebracht hat.

Das Schauspiel basiert auf historischen Quellen (u.a.):

Scheffer, Ulrike; Würich, Sabine: Operation Heimkehr – Bundeswehrsoldaten über ihr Leben nach dem Auslandseinsatz, Christoph Links Verlag, 2014.

Zeitzeugeninterviews mit ehemaligen KFOR-Soldaten

Der Bundeswehr-Einsatz 1999

von Norbert Mappes-Niediek

Grafik zum Zerfall Jugoslawiens

Das Kosovo wurde nach dem Zerfall Jugoslawiens Teil Serbiens, wollte aber ein unabhängiger Staat sein. © vydy.tv

Als Jugoslawien 1991 auseinanderfiel, blieb das Kosovo mit seiner zu mehr als 80 Prozent albanischen Bevölkerung beim Nachfolgestaat Serbien. Die Albaner boykottierten den serbischen Staat, seine Wahlen, sogar die Schulen und die Krankenhäuser, und erklärten sich für unabhängig. Aber außer Albanien erkannte kein Staat der Welt das Kosovo an. Es galt die Formel der EU: Jugoslawien war 1991 in seine sechs Republiken zerfallen. Das Kosovo aber war formal keine Republik, sondern eine autonome Provinz in Serbien.

Die serbische Polizei führte in der ärmsten Region Jugoslawiens ein strenges, aber auch ein korruptes Regiment. Unter dem Vorwand, nach versteckten Waffen zu suchen, drangen Patrouillen willkürlich in albanische Häuser ein, suchten vor allem nach Wertgegenständen und Bargeld und verprügelten regelmäßig und aus nichtigem Anlass junge Männer.

Wehren konnten die Kosovaren sich nicht. Der passive Widerstand trug keine Früchte. Serbien, das wegen des Krieges in Bosnien unter Uno-Sanktionen stand, blieb auch nach dem bosnischen Friedensschluss von der Weltgemeinschaft geächtet. Trotzdem waren die Kosovo-Albaner gehalten, sich mit eben diesem Staat zu arrangieren.

Radikalisierung der UCK

1996 begannen einige radikale Albaner, die sich „Befreiungsarmee des Kosovo“ (UCK) nannten, mit Terroranschlägen gegen serbische Polizeistationen. Als die serbische Polizei im März 1998 bei der Verfolgung eines UCK-Mannes dessen ganze Großfamilie tötete, brach ein Aufstand aus. Belgrad setzte die Armee ein. Sie beschoss Orte, in denen Aufständische sich verschanzt hatten. Zehntausende flüchteten in die Wälder. Gerade rechtzeitig vor dem Wintereinbruch erreichten die USA einen Waffenstillstand und die Menschen konnten zurück in die Dörfer.

Die UCK sah sich als Befreiungsarmee des Kosovo.

Die UCK sah sich als Befreiungsarmee des Kosovo. © WDR

Schon bald zeigte sich, dass die Waffenruhe nicht halten würde. Nachts verübte die UCK immer wieder Anschläge. Tagsüber schlugen Armee und Polizei zurück. Auf einer Konferenz in Rambouillet bei Paris wollten die Westmächte erreichen, dass die serbischen Streitkräfte sich zurückziehen und einer Friedensmission unter Führung der Nato Platz machten. Belgrad lehnte ab. Am 24. März 1999 begann die Nato damit, militärische Ziele in Serbien und dem Kosovo zu bombardieren.

Es war das erste Mal seit 1945, dass auch deutsche Streitkräfte an einem Kampfeinsatz teilnahmen. In Deutschland entbrannte eine heftige Kontroverse zwischen Pazifisten (Kriegsgegnern) und Bellizisten (Kriegsbefürwortern). Die Pazifisten kritisierten, dass es für die Intervention keinen Beschluss des UN-Sicherheitsrates gebe. Folglich handele es sich um einen im Völkerrecht und vom Grundgesetz verbotenen Angriffskrieg.

Der fragwürdige Hufeisenplan

Der angebliche “Hufeisenplan” von Milosevic.

Der angebliche “Hufeisenplan” von Milosevic. © ARD

Die Bellizisten, allen voran Verteidigungsminister Rudolf Scharping (SPD), argumentierten dagegen mit völkerrechtlich gedeckter Notwehr: Im Kosovo geschehe eine humanitäre Katastrophe. Scharping präsentierte nach dem Beginn der Luftangriffe den Hufeisenplan, mit dem Belgrad angeblich alle Albaner aus dem Kosovo vertreiben wollte. Der Hufeisenplan war von Anfang an fragwürdig, für seine Existenz gibt es bis heute keine Beweise. Ob es den Plan nun gab oder nicht: Die systematische Massenvertreibung fand dann tatsächlich statt. Sie begann aber erst nach dem Beginn der Nato-Intervention, konnte für deren Begründung also nicht herhalten.

Die verantwortlichen Generäle und Politiker hatten damit gerechnet, dass Serbien unter seinem Präsidenten Slobodan Milošević rasch einknicken würde – ein Irrtum. Abbrechen ließ sich die Intervention nicht mehr, denn inzwischen hatte die serbische Armee hunderttausende Albaner außer Landes getrieben. Unter der Bedingung, dass die Albaner allesamt hätten zurückkehren dürfen, hätte Belgrad sich auf keinen Waffenstillstand eingelassen, und eine dauerhafte „ethnische Säuberung“ wäre die Folge gewesen. Nach und nach gingen der Nato die militärischen Ziele aus, es gab immer mehr zivile Opfer. Als ein Nato-Sprecher von „Kollateralschäden“ sprach, drohte vor allem in Deutschland die Stimmung zu kippen. Erst nach 78 Tagen, als die Nato mit dem Einsatz von Bodentruppen drohte, lenkte Milošević ein. Armee und Polizei zogen sich zurück, an ihrer Stelle rückte eine Nato-Mission ins Land. Die Zivilverwaltung wurde von der UNO übernommen.

Offiziell war es der erste Kampfeinsatz der Bundeswehr seit ihrem Bestehen.

Offiziell war es der erste Kampfeinsatz der Bundeswehr seit ihrem Bestehen. Aber es gab in diesem Einsatz kein einziges Gefecht, an dem ein Nato-Soldat, geschweige denn ein deutscher, teilgenommen hätte. Die allermeisten Luftangriffe wurden von der US Air Force geflogen, ein geringer Teil von den Briten. Ob die deutsche Luftwaffe im Kosovo-Krieg überhaupt Bomben abgeworfen hat, wurde nie bekannt gegeben. Erst als die feindliche Armee das Land schon verlassen hatte, rückten Nato-Truppen ins Kosovo ein, darunter rund 5.000 Bundeswehrsoldaten. Einige Male sahen sich Nato-Soldaten dann trotzdem beinahe gefechtsähnlichen Situationen gegenüber – wie die Deutschen in Prizren, als Albaner Gebäude der serbischen Kirche stürmten. Es war nach Bosnien-Herzegowina überhaupt erst der zweite Einsatz der Bundeswehr „out of area“, also außerhalb des Nato-Gebiets, wenn man von reiner Katastrophenhilfe absieht. Junge Soldaten, aber auch ihre Offiziere und Unteroffiziere agierten zum ersten Mal in einem wirklichen Spannungsgebiet.

Kein Frieden in Sicht

Die Bundeswehr ist immer noch im Kosovo stationiert.

Ursula von der Leyen 2014 als Bundesverteidigungsministerin zu Besuch bei der Bundeswehr im Kosovo. © Picture Alliance

Auch die Polarisierung in der Heimat blieb nicht ohne Wirkung auf die Truppe. Stärker als Briten, Franzosen oder Italiener, die zudem über weit mehr Erfahrung mit Friedensmissionen verfügten, identifizierten sich die deutschen Soldaten anfangs mit der „guten Sache“ der Albaner. Entsprechend heftig war der Schock, als die Verhältnisse im Land sich dann doch differenzierter darstellten. Fragwürdige albanische „Nachkriegshelden“ begannen, Serben zu vertreiben – darunter ausgerechnet viele Serben, die sich an den Verbrechen des Regimes nicht beteiligt hatten und im Vertrauen auf das gute Gedächtnis ihrer albanischen Nachbarn im Lande geblieben waren. Die Stimmung in der Bundeswehrtruppe kippte rasch. Das Ergebnis war, dass viele jetzt nicht mehr die Albaner, sondern die Serben für „die Guten“ hielten, was den Verhältnissen ebenso wenig gerecht wurde.

Aktuelle Situation

Heute herrscht im Kosovo offiziell Frieden, jedoch ist der Alltag von Gewalt zwischen den Ethnien und Armut geprägt. Die serbische Minderheit hat das Land zur Hälfte verlassen, die andere Hälfte lebt in einem kompakten, rein serbischen Gebiet, teils in reservatähnlichen Enklaven. 2008 erklärte das Kosovo seine Unabhängigkeit. Aber von Serbien und Russland sowie auch von einigen EU-Staaten wird es nicht anerkannt, weshalb dem jungen Staat der Zugang zur UNO und den meisten internationalen Organisationen verwehrt bleibt.

Zum Kosovo-Krieg könnte ein faires Urteil der Geschichte lauten: Als die Krise noch friedlich lösbar war, hat die internationale Gemeinschaft sie ignoriert. Weil der friedliche Widerstand unerhört blieb, griffen die Albaner schließlich zum Mittel der Gewalt. Irgendwann blieb zur Intervention dann tatsächlich keine Alternative. Hätte die Nato die serbische Armee und Polizei nicht vertrieben, herrschte dort wohl noch immer Krieg.

Norbert Mappes-Niediek
arbeitet seit 1991 als Korrespondent deutschsprachiger Medien zu Südosteuropa und hat auch mehrere Bücher über die Region geschrieben. 1994/95 war er Berater im Stab des Uno-Sondergesandten für das ehemalige Jugoslawien. Aus dem Kosovo-Krieg hat er intensiv berichtet, u.a. für den Stern, Die Zeit und den Deutschlandfunk.


Die Musik der damaligen Zeit:

Die Musik der damaligen Zeit auf Spotify und Deezer.

Zu hören auf Spotify und Deezer.

Deutschland im Krieg – das schien nach dem zweiten Weltkrieg eigentlich undenkbar. Und doch wurde es Ende der 1990er Jahre Realität. Der Bundeswehreinsatz im Kosovo war umstritten in Deutschland. War es unnötige Waffengewalt oder schützten die Soldaten die Opfer des Konfliktes?
Gleichzeitig waren die 90er musikalisch eine Zeit wie keine andere dominiert von Boy- und Girlgroups, Europop und gerade im Balkan von “Turbofolk”, einer neuen Musikrichtung, die damals auf dem Höhepunkt ihrer Popularität stand. Lieder wie “Pesma Od Bola”, “Lopov” und “Ozeni me Babo” sind laute, schnelle Hits, die in scharfem Gegensatz zu den damaligen Zuständen im Kosovo zu stehen scheinen. Und in Deutschland waren wie im Rest der westlichen Welt Hits wie “Believe” von Cher und “It’s My Life” von Dr. Alban an den Spitzen der Charts und auf den Mixtapes jeder Party zu finden.
Einige Musiker sprachen sich in ihren Liedern aber auch explizit gegen den Krieg und für mehr Frieden in der Welt aus, so etwa Michael Jackson in seinem “Earth Song”. Und auch Bonos Hit “Miss Sarajevo” mit Luciano Pavarotti, der vom Bosnienkrieg handelte, war aktueller denn je: Denn genau um ein “zweites Bosnien” zu vermeiden, waren die deutschen Soldaten in den Kosovo eingerückt.
Eine Zeit zwischen Trash und Glitter auf der einen und Leid und Elend auf der anderen Seite; zwischen Backstreet Boys Choreos und politischen Songtexten: Das waren die späten 90er, zur Zeit des Kosovo-Kriegs.

Eine Auswahl der Musik der damaligen Zeit können Sie sich auf Spotify und Deezer anhören.


Zum Weiterlesen:

Chiari, Bernhard; Keßelring, Agilolf (Hg.): Wegweiser zur Geschichte des Kosovo. Im Auftrag des Militärgeschichtlichen Forschungsamts, Ferdinand Schöningh Verlag, 2006.

Malcolm, Noel: Kosovo. A Short History, New York University Press, 1998.

Kaser, Karl; Petritsch, Wolfgang; Pichler, Robert: Kosovo, Kosova. Daten, Mythen, Fakten, Wieser Verlag, 1999.

Planet Schule: Unterrichtsmaterial zur Reihe.

Reiter, Erich (Hrsg.): Der Krieg um das Kosovo 1998/99, Hase & Koehler Verlag, 2000.

Schmid, Thomas (Hrsg.): Krieg im Kosovo, Rowohlt Taschenbuch Verlag, 1999.

The Independent International Commission on Kosovo: Kosovo Report. Conflict, international response, lessons learned, Oxford University Press, 2000.

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