„Ich war Grenzsoldat in der DDR. Ich habe auf einen Menschen geschossen.“
Nur solche, die etwas auf dem Kerbholz hatten, würden den unerlaubten Weg über die Grenzsicherungsanlagen wählen.
Der Schauspieler Pit Bukowski spielt in WAS GEHT MICH DAS AN? einen fiktiven DDR-Grenzsoldaten, der auf einen Flüchtenden schießt.
Der Film sucht in der Todeszone zwischen Ost und West nach Antworten: Mussten die DDR-Grenzer auf Menschen schießen oder gab es auch andere Möglichkeiten? Die Dokumentation wirft dabei auch allgemeine Fragen auf: Wie weit gehe ich, um ein System zu schützen? Wann gehorche ich, wann widersetze ich mich einer Anweisung?
Das Schauspiel basiert auf historischen Quellen (u.a.):
Der Bundesbeauftragte für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik: Quellensammlung Ministerium für Staatssicherheit und Grenze. Zur Quellensammlung
Marxen, Klaus; Werle, Gerhard (Hg.): Gewalttaten an der deutsch-deutschen Grenze. Nachschlagewerk zu Prozessakten, De Gruyter, 2002.
Marxen, Klaus; Werle, Gerhard (Hg.): Strafjustiz und DDR-Unrecht, De Gruyter. 2004.
Zeitzeugen-Interviews der Stiftung Berliner Mauer. Zur Webseite der Gedenkstätte Berliner Mauer
Die Grenzsoldaten der DDR
von Dr. Gerhard Sälter


Die DDR-Regierung baute eine Grenzanlage mit tödlichen Hindernissen. © vydy.tv
Nach dem Mauerbau 1961 entstanden in der DDR Grenztruppen mit einer Stärke von 45.000 bis 50.000 Mann. Sie waren aus speziellen Polizeieinheiten hervorgegangen und bildeten, eine Besonderheit des Ostblocks, eine vierte militärische Sparte neben Heer, Marine und Luftwaffe. Diese Truppen unterstanden dem Verteidigungsministerium der DDR und gleichzeitig dem Nationalen Verteidigungsrat. Bei diesem handelte es sich – kaum kaschiert – um ein Gremium der Staatspartei Sozialistische Einheitspartei Deutschlands (SED). Geführt wurden die Grenztruppen von Berufsoffizieren, die fast durchweg der SED angehörten. Die Offiziere wurden unterstützt von Unteroffizieren, die sich entweder für mehrere Jahre verpflichtet hatten oder ebenfalls Berufssoldaten waren.


Die innderdeutsche Grenze in Berlin trennte 1961 zunächst mit einem Stacheldraht Freunde und Familien voneinander. © Gesamtdeutsches Institut – Bundesanstalt für gesamtdeutsche Aufgaben
Wehrpflicht
Die große Masse der Grenztruppen bestand jedoch seit 1962 aus Wehrpflichtigen, die 18 Monate zu dienen hatten und sich zum großen Teil nicht freiwillig zum Dienst an der Grenze gemeldet hatten. In einem Staat jedoch, in dem die Staatspartei SED alle beruflichen Chancen kontrollierte – sei es Berufsausbildung oder Studium – und dem Einzelnen individuelles Engagement abforderte, konnte der Dienst an der Grenze das persönliche Fortkommen deutlich erleichtern. Die Grenzsoldaten sollten nach besonderen Kriterien ausgesucht werden: Sie sollten nach Möglichkeit keine Verwandten im Westen haben und politisch besonders zuverlässig sein. Da jedoch in jedem Jahr mehr junge Männer für den Grenzdienst benötigt wurden als nach diesen Kriterien zur Verfügung standen, mussten die Musterungskommissionen aus Militärs und Stasi Abstriche machen. Außerdem ließen sich, trotz weitgehender Überwachung in der DDR, über die politische Haltung der Wehrpflichtigen angesichts ihrer Jugend kaum Prognosen treffen. Auf jeden Fall vom Grenzdienst ausgeschlossen wurden diejenigen, die bereits politisch „negativ“ aufgefallen waren oder deren Eltern eine Akte bei der Staatssicherheit hatten. Die meisten der Grenzsoldaten waren weder freiwillig noch gern in den Grenzdienst gegangen, angesichts des schlechten Rufs, den die Grenztruppen aufgrund ihrer Aufgabe in der Bevölkerung genossen.
Der strikte Dienstalltag
In jedem Jahrgang warb die Stasi zwischen fünf und zehn Prozent der Wehrpflichtigen als Informanten an.
Der Dienstalltag der Grenzsoldaten war geprägt von Drill und enger Überwachung einerseits und von Langeweile im Grenzdienst andererseits. Aufgestellt nahezu direkt an der Grenzlinie zum Westen, misstrauten ihnen die Führung der SED und ihre Offiziere gleichermaßen. Ihr Leben in der Kaserne war, mehr noch als im Militär ohnehin üblich, von straffen Verhaltensregeln bestimmt. Offiziere und Unteroffiziere überwachten die Einhaltung dieser Regeln strikt und bestraften auch kleine Abweichungen schnell und streng. Im obligatorischen Politunterricht versuchten die verantwortlichen Offiziere ihnen Feindbilder zu vermitteln, in denen der Westen und insbesondere die Bundesrepublik als akute Bedrohung und die unzufriedenen Teile der eigenen DDR-Bevölkerung als vom Westen verhetzt dargestellt wurden. Allerdings waren die Belehrungen im Politunterricht oft schematisch und floskelhaft und wenig überzeugend. Mehr vertrauten die Verantwortlichen einer heimlichen Überwachung durch die Staatssicherheit und ihre Inoffiziellen Mitarbeiter (IM). In jedem Jahrgang warb sie zwischen fünf und zehn Prozent der Wehrpflichtigen als Informanten an, die über ihre Kameraden zu berichten hatten. Drill und Überwachung sollten garantieren, dass die Grenzsoldaten ihre Aufgabe erfüllten und verhindern, dass sie sich selbst auf den Weg nach Westen machten.


Die Grenzsoldaten waren oft Wehrpflichtige, also junge Männer Anfang 20. © WDR
Der Grenzdienst an der Berliner Mauer dauerte pro Schicht acht bis zwölf Stunden und war überaus eintönig. Eingesetzt im Niemandsland des Grenzstreifens überwachten die Grenzsoldaten von ihren Beobachtungstürmen aus das Hinterland der Grenze, den Grenzstreifen selbst und das westliche Vorfeld. Ihre Hauptaufgabe war es, Flüchtlinge zu verhaften, die aus der DDR in den Westen wollten. Falls das nicht möglich war, hatten sie den Befehl, auf Flüchtende zu schießen. Die Folge waren zahlreiche Todesopfer, allein in Berlin neunzig bis zum Mauerfall, an der innerdeutschen Grenze wahrscheinlich noch einmal mehrere hundert. Die meisten Grenzsoldaten hatten sich jedoch ein Bewusstsein bewahrt, dass das Grenzregime der DDR nicht zu rechtfertigen war. Den „Schießbefehl“ haben die meisten wahrscheinlich innerlich abgelehnt, haben ihn aber – durch Drill geschult, von Überwachung eingeschüchtert und aus Angst vor Strafe – im Einzelfall befolgt.
Nach dem Mauerfall
Viele Grenzsoldaten quälen sich noch heute mit der Frage, ob sie nicht auch geschossen hätten.
Den Fall der Mauer und das Ende des Grenzregimes dürften die meisten aktiven und ehemaligen Grenzsoldaten genau wie die anderen Bewohner der DDR mit großer Erleichterung begrüßt haben. Ein Teil der Offiziere jedoch wird damit ein Gefühl der Niederlage verbunden haben.
Bis zum Ende der DDR haben etwa eine Million Männer den Grenzdienst durchlaufen. Viele von ihnen quälen sich noch heute mit der Frage, ob sie nicht auch geschossen hätten, wenn sie in die Lage gekommen wären. Auch heute errichten Staaten wegen der vielen Flüchtlinge vor Kriegen im Osten wieder Grenzmauern, die denen der DDR nicht unähnlich sind, auch wenn sich die Grenzregime in vielen Aspekten unterscheiden.
Gerhard Sälter
ist promovierter Historiker und wissenschaftlicher Mitarbeiter bei der Gedenkstätte Berliner Mauer. Er hat mehrere Bücher zur Grenzpolizei der DDR, zum Ministerium für Staatssicherheit und zur Berliner Mauer veröffentlicht.
Die Musik der damaligen Zeit:

Zu hören auf Spotify und Deezer.
Die innerdeutsche Teilung: vor 27 Jahren noch eine traurige Realität für Menschen in BRD und DDR. Während in der BRD westliche Hits wie “Sweet Dreams (Are Made of This)” von den Eurythmics und “Africa” von Toto erfolgreich waren, wurden in der DDR musikalisch auch kritische Stimmen lauter. Frank Schöbel forderte: “Wir wollen keine Lügen mehr” und die Gruppe Herbst in Peking sang von einer “Bakschischrepublik”. Hin- und hergerissen zwischen Treue zum Sozialismus und dem Verlangen nach Freiheit – zwischen der Hymne der DDR “Auferstanden aus Ruinen” und dem Wunsch “Leben möcht’ ich” von der Stern-Combo Meißen, der im gleichnamigen regimekritischen Lied besungen wurde. Das war das geteilte Deutschland an der Mauer: eine zerrissene Nation. Denn bis zum “Wind of Change”, der im globalen Hit von den Scorpions aufkam, sollte es noch eine Weile dauern.
Eine Auswahl der Musik der damaligen Zeit können Sie sich auf Spotify und Deezer anhören.
Zum Weiterlesen:
Henke, Klaus-Dietmar (Hg.): Die Mauer. Errichtung, Überwindung, Erinnerung, Deutscher Taschenbuch Verlag, 2011.
Klausmeier, Axel (Hg.): Die Berliner Mauer. Ausstellungskatalog der Gedenkstätte Berliner Mauer, Christoph Links Verlag, 2015.
Maurer, Jochen: Halt - Staatsgrenze! Alltag, Dienst und Innenansichten der Grenztruppen der DDR, Christoph Links Verlag, 2015.
Planet Schule: Chronologische Abfolge des Mauerfalls.
Planet Schule: Unterrichtsmaterial zur Reihe.
Planet Schule: Schematische Darstellung der Berliner Mauer in den 70er Jahren.
Sälter, Gerhard: Grenzpolizisten. Konformität, Verweigerung und Repression in der Grenzpolizei und den Grenztruppen der DDR (1952-1965), Christoph Links Verlag, 2009.