"Als Deutschland Millionen Menschen in KZs ermordert hat, habe ich weggeschaut."
Eine NS-Mitläuferin
Ich ahnte doch, welch ein schönes Gefühl es ist, einem Führer unseres Volkes zu vertrauen. Ich glaube fast, das war der schönste, ergreifendste und gewaltigste Augenblick meines Lebens.
Die Schauspielerin Judith Neumann spielt in WAS GEHT MICH DAS AN? eine NS-Mitläuferin. Ihre Rolle basiert auf historischen Tagebuchaufzeichnungen von Jugendlichen, anderen historischen Quellen und aktuellen Forschungsergebnissen.
Warum war Hitler so faszinierend für viele Jugendliche? Woher kam der Hass auf Juden? Und schauen wir heute in ähnlichen Situationen weg? Die Dokumentation nähert sich dem Denken und Handeln einer jungen NS-Mitläuferin an – vor dem Hintergrund heutigen Wissens und heutiger Werte.
Das Schauspiel basiert auf historischen Quellen (u.a.):
Eberle, Henrik: Briefe an Hitler: Ein Volk schreibt seinem Führer, Bastei Lübbe, 2007.
Walb, Lore: Ich, die Alte - ich, die Junge: Konfrontation mit meinen Tagebüchern 1933-1945, Aufbau Taschenbuch, 1998.
Flugblätter der Weißen Rose, 1943. Zu den Flugblättern im Wortlaut
Jugend in der NS-Zeit
von Dr. Sascha Lange


Mädchen im Sportzeltlager der Hitlerjugend 1938 im Ostseebad Henkenhagen. © Picture Alliance / ZB
Die Machtübernahme der Nationalsozialisten 1933 bedeutete gleichzeitig auch das Ende der vielfältigen Jugendbewegungen der Weimarer Republik. Die meisten Gruppen wurden sofort verboten oder zur Auflösung gezwungen, illegale Fortführungen von der Gestapo bald zerschlagen. Die Hitlerjugend wurde von der NSDAP zur alleinigen Jugendbewegung in Deutschland erklärt. Diese „Einigung“ der Jugend unter einem Banner empfanden viele junge Menschen als sinnvoll, wenn sie nicht gerade selbst zu einer anderen, nun verbotenen Gruppe gehört hatten. Die Nationalsozialisten verkauften sich als zukunftsgewandte junge Bewegung, viele der NS-Führer waren im Vergleich zu den bekannten Politikern der Weimarer Republik noch relativ jung, nicht nur ihre Fackelaufmärsche begeisterten. Das ließ die Hitlerjugend (HJ) von 1933 an schnell zu einer Massenbewegung wachsen. Viele wollten auf der Gewinnerseite stehen.
Viele Jugendliche wollten auf der Gewinnerseite stehen.
Innerhalb eines Jahres wuchs die HJ darum von 50.000 Mitgliedern im Jahr 1932 auf über eine Million. Unter den neuen waren auch ehemalige bürgerliche Pfadfinder, Mitglieder anderer nationalistischer Jugendgruppen sowie die meisten evangelischen Jugendverbände. Das zunächst unverfängliche Freizeitangebot mit Liedern, Wanderungen und Gemeinschaftserlebnissen sprach viele Kinder und Jugendliche an, die bislang solche Aktivitäten nicht kannten oder sich nicht leisten konnten. 1939 waren mehr als acht Millionen 10- bis 18-jährige Mitglied der HJ oder ihren Untergliederungen wie dem Bund Deutscher Mädel (BDM).
Bund Deutscher Mädel


Beim Bund Deutscher Mädel konnten Mädchen erstmalig vor ihren Verpflichtungen im Haushalt fliehen. © Picture Alliance
Letzterer bot vielen Mädchen erstmalig eine organisierte Freizeitgestaltung an, die ihnen aufgrund häuslicher Verpflichtungen vorher nicht möglich war. Für viele stand die Vorbereitung und letztlich die Reduzierung auf ihre Rolle als Mutter nicht im Widerspruch zu ihrer Lebensplanung. Sie sollten als Mütter und Hausfrauen Deutschland dienen und keine emanzipierten und individuellen Lebensentwürfe haben.
Ein wichtiger Bestandteil der HJ war die Erziehung ihrer Mitglieder zu überzeugten Nationalsozialisten, willigen Befehlsempfängern und zukünftigen Soldaten. Dabei gehörten der staatlich indoktrinierte Antisemitismus sowie die angebliche Überlegenheit der „arischen Rasse“ zur weltanschaulichen Schulung, die die HJ-Mitglieder wöchentlich vermittelt bekamen. Dabei log man sie bewusst an, in dem man ihnen etwa von einer angeblichen jüdischen Weltverschwörung erzählte, die sich gegen ihr Vaterland richten würde.


Die Nationalsozialisten wollten Juden aus der deutschen Öffentlichkeit verdrängen. © ullstein bild
Der propagierte Antisemitismus wurde von vielen Jugendlichen übernommen bzw. kaum hinterfragt. Auch die Gewalt zur Pogromnacht am 9. November 1938 änderte nichts daran. Gleichzeitig verließen bis zum Kriegsbeginn viele Juden Deutschland und verschwanden dadurch aus dem sozialen Umfeld ihrer Mitschüler. Zu Beginn der 1940er Jahre drangen zunächst nur Gerüchte über die Vernichtungslager im Osten nach Deutschland in die Familien und somit zu Jugendlichen, später auch immer mehr Erlebnisberichte von Fronturlaubern über den Holocaust. Auch über verbotene ausländische Rundfunksender kamen Informationen. Vieles überstieg die Vorstellungskraft von Jugendlichen. KZ-Häftlinge als Zwangsarbeiter waren parallel dazu immer öfter in Städten und auf dem Land für jedermann sichtbar. Darüber sprachen Jugendliche untereinander nur wenig, es gehörte für sie oftmals zum Krieg dazu.
Alternative Jugendkultur


Eine Gegenkultur zum Mainstream der Hitlerjugend war die Swing-Bewegung. © NS-Dokumentationszentrum Köln
Trotz der vielfältigen NS-Propaganda gab es andererseits viele Arbeiterjugendliche, und auch Jugendliche aus dem Bürgertum, die sich gegen eine Mitgliedschaft in der HJ entschieden. Sie erwiesen sich gegenüber den NS-Parolen als immun und bewahrten stattdessen ihre eigenen Kulturen und politischen oder religiösen Ansichten. Besonders die zunehmende Militarisierung des HJ-Dienstes in der zweiten Hälfte der 1930er Jahre und die schikanierenden Hierarchien fanden viele Jugendliche unattraktiv. Statt erzwungener Gemeinschaft und NS-Ideologie wollten sie ihre Freizeit nach eigenen Vorstellungen verbringen, sich absondern von der Masse und ihre Individualität ausleben. Hinzu kam auch, dass innerhalb informeller Cliquen und Freizeiten der ungestörte Kontakt zwischen Mädchen und Jungen möglich war. Besonders in Westdeutschland sammelten sich unter der Bezeichnung „Edelweißpiraten“ Tausende in informellen Cliquen. Andere Arbeiterjugendliche sahen sich als explizit linke Gruppen an wie die „Leipziger Meuten“. Und manche bürgerliche Jugendliche pflegten auch nach dem Verbot 1933 im Geheimen weitere ihre bündischen Gruppen.
Der damalige Reichsjugendführer rechnete damit, dass allein 20 Prozent der 10- bis 18-Jährigen zu den politisch oppositionellen Jugendlichen zu zählen seien.
Ab Mitte der 1930er Jahre wurde zudem die neue amerikanische Swingmusik auch in Deutschland populär. Davon inspiriert fanden immer mehr Mädchen und Jungen aus allen Schichten Gefallen an dieser Tanzmusik und dem damit verbundenen Lebensstil und schlossen sich einer der vielen Swingjugend-Gruppen an, besonders in Hamburg, Berlin und Frankfurt am Main. Die Antwort der HJ und des NS-Regimes auf nonkonforme Jugendliche waren Repressionen in Form von Misshandlungen, Gestapo-Verhören, Gefängnis- und sogar KZ-Strafen. Dem Phänomen kam man dadurch aber nicht bei. 1942 rechnete selbst der damalige Reichsjugendführer Artur Axmann in einem internen Schreiben damit, dass allein 20 Prozent aller 10- bis 18-Jährigen zu den „kriminellen“ - bzw. zu den politisch oppositionellen Jugendlichen zu zählen seien.


Musik als Widerstand: Swing-Session mit Coco Schumann (Gitarre), Rudi Ernst (Klarinette) und Ilja Glusgal (Schlagzeug) im Strandbad Wannsee 1941. © Coco Schumann
Trotz der zunehmenden oppositionellen Jugendcliquen gab es bis zuletzt nicht wenige fanatisierte Hitlerjungen, die im Volkssturm, bei der Wehrmacht oder bei der Waffen-SS noch im Frühjahr 1945 trotz der Übermacht der Alliierten für einen „Endsieg“ kämpften. Erst die bedingungslose Kapitulation am 8. Mai 1945 und die alliierte Besetzung Deutschlands ließ ihnen klar werden, dass das „Tausendjährige Reich“ vorbei war.
Sascha Lange
wurde 1971 geboren und lebt in Leipzig. Er ist promovierter Historiker mit dem Schwerpunkt Jugendkulturen. Neben Ausflügen in die Belletristik veröffentlichte Sascha Lange 2013 zusammen mit Dennis Burmeister Depeche Mode, die bislang umfassendste Werkschau über die britische Popband.
Die Musik der damaligen Zeit:

Zu hören auf Spotify und Deezer.
Der Einfluss des NS-Regimes ging in den 1940er-Jahren auch an der Musik nicht vorbei. Ein Star der Zeit war die gebürtige Schwedin Zarah Leander. Mit ihrer charakteristisch tiefen, rauchigen Stimme war sie auch in NS-Führungskreisen sehr beliebt und konnte zahlreiche Erfolge verbuchen: nicht zuletzt mit “Lili Marleen”, der Ballade über das Heimweh der in den Krieg gezogenen Soldaten. Das Anti-Kriegs-Lied wurde zunächst verboten, war aber so erfolgreich, dass es schließlich wieder zugelassen wurde – und Leander damit regelmäßig vor Soldaten auftrat. Andere Lieder, die zum Teil zur NS-Propaganda gehörten, waren ebenfalls sehr populär, dürfen aber heute wegen ihrer Botschaften nicht mehr gespielt werden. Andere Künstler hatten es nicht so leicht. Trotz ihrer erfolgreichen Lieder wie “Irgendwo auf der Welt” und “Ein Freund, Ein Guter Freund” mussten sich die Comedian Harmonists wegen ihrer jüdischen Mitglieder auflösen und schließlich sogar das Land verlassen. Bei der Jugend wurde derweil eine ganz andere Musikrichtung populär: Der Swing, der für Tanz und Lebensfreude stand. Mit Liedern wie dem “Tiger Rag” und dem “St. Louis Blues”. Vom Regime verboten, entwickelte sich um den Swing eine regelrechte oppositionelle Jugendkultur und damit ein Gegenpol zu Organisationen wie der Hitlerjugend. Zwischen romantischer Verklärung, Rebellion und der bitteren Realität des Krieges - die Musik der NS-Zeit ist ein Spiegel der damaligen Gesellschaft.
Eine Auswahl der Musik der damaligen Zeit können Sie sich auf Spotify und Deezer anhören.
Zum Weiterlesen:
Kater, Michael H.: Hitler-Jugend, Primus Verlag, 2005.
Lange, Sascha: Meuten, Swings & Edelweißpiraten. Jugendkultur und Opposition im Nationalsozialismus, Ventil Verlag, 2015.
Planet Schule: Unterrichtsmaterial zur Reihe.
Sternheim-Peters, Eva: Habe ich denn allein gejubelt? Eine Jugend im Nationalsozialismus, Europa Verlag, 2015.